
Blauer Farbstoff aus grünen Blättern: Waidkugeln und Indigopulver
Pflanzen, aus denen blaue Farbe gewonnen werden kann
Mehrere Pflanzenarten dienen seit Jahrhunderten als natürliche Quelle
für blaue Farbstoffe. Zu den bekanntesten zählt die
Indigopflanze (Indigofera tinctoria)
die von Indien aus in die ganze Welt exportiert wurde.
Die Inder kannten darüber hinaus weitere Blauquellen, die wirtschaftlich
weniger bedeutsam waren:
Färberoleander (Wrightia tinctoria) und
Färberschwalbenwurz (Dischidanthus thyrsiflorus).
Eine schlechte Indigoqualität liefert die
Geißraute (Tephrosia tinctoria)
in Sri Lanka. Ihr deutscher Verwandter
Galega officinalis
soll auch Farbstoff enthalten, aber eher unbedeutend.
Der Färberwaid (Isatis tinctoria) spielte im alten
Europa eine wichtige Rolle.
Ebenfalls blau färbt die in Südeuropa heimische
Strauchkronwicke (Hippocrepis emerus),
volkstümlich Skorpions-Peltsche genannt. Weitere europäische Blaufärbepflanzen
sind der
Busch-Erbsenstrauch (Caragana frutex) und der
Zwerg-Erbsenstrauch (Caragana pygmaea), sowie der
Gewöhnliche Teufelsabbiss (Succisa pratensis).
Der Färber-Knöterich (Persicaria tinctoria)
ist die Färbepflanze Japans, während
in China der Waid vorherrschend war.
In Nordamerika kannten die Cherokee die
Indigolupine (Baptisia australis)
zur Gewinnung von blauem Farbstoff für Kleidungsstücke.
Europäische Siedler in Nordamerika griffen dies auf und nutzten sie als
Ersatz für den Echten Indigo. Die Blätter und jungen Triebe des
Bastardindigos (Amorpha fruticosa)
wurden nur von den europäischen Siedlern verwendet: sie enthalten nur
wenig Farbstoff. Bedeutsamer war die
Färberhülse (Baptisia tinctoria) auch wilder Indigo
oder Podalirie genannt, welche traditionell von amerikanischen Ureinwohnern
als Heilpflanze und als Pflanzenfarbstoff verwendet wurde.
Mitte des 18. Jahrhunderts wurden etwa 100 Tonnen Färberhülsen-Farbstoff aus
South Corolina und Virginia nach England exportiert.
Waidkugeln herstellen
- Erntezeitpunkt
- Die Haupternte des Waids erfolgt im Sommer,
meist
zwischen Juni und August, sobald die Pflanzen eine kräftige Blattmasse
entwickelt haben. Geerntet wird, wenn die Blätter voll entwickelt,
aber noch weich und sattgrün sind. Nach dem Übergang zur Blüte nimmt
der Gehalt an Farbstoffvorstufen deutlich ab.
Waid kann im Lauf einer Saison zwei- bis dreimal geschnitten werden. Bei früher Aussaat ab April ist die erste Ernte nach etwa 8–10 Wochen möglich (also Ende Juni), der zweite Schnitt folgt rund sechs Wochen später. In günstigen Jahren ist ein dritter Schnitt im Frühherbst erreichbar, sofern der Wuchs kräftig bleibt.
Die ideale Tageszeit für die Ernte ist ein trockener Vormittag, nachdem der Tau abgetrocknet ist. - Waidblätter ernten
- Die Blätter enthalten den höchsten Anteil
an Farbstoffvorstufen, insbesondere Indican.
Dennoch selektiert man keine Einzelblätter, das ist nicht effizient.
Geerntet wird die gesamte
oberirdische Grünmasse, jedoch ohne dicke Stängel oder holzige Teile,
da diese keine relevanten Farbsubstanzen enthalten und bei der
Weiterverarbeitung stören können.
Die Blätter sollten zügig nach der Ernte verarbeitet oder zumindest angetrocknet werden, da der Farbstoffabbau bereits kurz nach dem Schnitt beginnt. - Häckseln
- Nach der Ernte wird die gesamte Blattmasse grob
zerkleinert. Die langen Stiele und Blätter werden auf eine handhabbare
Länge von etwa zwei bis vier Zentimetern gehackt. Ob mit Gartenschere,
Beil oder Häcksler ist nebensächlich. Entscheidend ist, dass die
Zellstrukturen aufgebrochen werden, um den Farbstoffzugang zu
erleichtern.
Wer eine nennenswerte Menge Indigo gewinnen möchte, etwa genug zum Färben mehrerer Meter Stoff, verarbeitet schnell mehrere Schubkarren voll Grünmasse. - Zerstampfen
- Im nächsten Schritt werden die gehäckselten
Pflanzenteile mechanisch aufgeschlossen. Dabei geht es nicht um
feines Pürieren, sondern um das Quetschen und Aufbrechen, damit
Zellsaft und Schleimstoffe freigesetzt werden, ohne die Fasern zu
zerstören. Ein moderner Hochleistungsmixer eignet sich deshalb nicht:
Die Pflanzenmasse muss formbar bleiben, denn nur so lassen sich
daraus haltbare Waidkugeln formen.
Bewährt hat sich das Stampfen mit einem Holzschlegel, schweren Steinen oder auch das Zerdrücken zwischen Pflastersteinen. Der austretende Saft enthält vor allem Schleimstoffe und Chlorophyll: beides ist für den Färbeprozess unerheblich, und wird daher nicht aufgefangen. - Kneten der Waidkugeln
- Damit die Kugeln später nicht schimmeln, muss der grüne Brei einen Großteil seiner Feuchtigkeit verlieren. Nach dem Häckseln und Stampfen lässt man die Masse einige Stunden ruhen, presst sie immer wieder aus und formt sie schließlich zu Kugeln. Traditionell lehnte man dazu ein Brett oder Holzstück gegen das Knie und drückte die Masse mit den Händen daran: eine einfache, aber effektive Technik, um den letzten Pflanzensaft austreten zu lassen. Die fertigen Kugeln sind untereinander gleichgroß, und schwanken regional zwischen der Größe eines Golfballs und eines Tennisballs.
- Trocknen
- Die geformten Waidkugeln werden luftig und schattig ausgelegt. Idealerweise auf einem durchlässigen Untergrund wie einem Gitter oder lockerem Stoff. Direkte Sonne wird vermieden, um Inhaltsstoffe zu schonen, aber gute Belüftung ist entscheidend.
- Lagern
- Vollständig durchgetrocknet sind Waidkugeln über Jahre haltbar. In kühlen, trockenen Räumen gelagert, behalten sie ihre Färbekraft und können bei Bedarf portionsweise verarbeitet werden. Die Haltbarkeit war einst entscheidend, um den Farbstoffvorrat vom Sommer bis zur nächsten Färbesaison zu sichern. Wer allerdings direkt im Anschluss färben möchte, kann die frische Breimasse auch sofort in eine Küpe überführen ↗.
Waidblätter im Kaltauszug zu Indigopulver verarbeiten
- Blätter sammeln
- in den frischen Grünen Blättern liegt der Farbstoff noch in der wasserlöslichen gelben Form vor.
- Kalkwasser bereiten
- wir brauchen reines Kalkwasser (also ohne Kalkmilch) als Reagenz: Man gibt Löschkalk↗ zu Wasser, rührt gut um, lässt dann alles absetzen, und gießt die klare Lösung oben ab.
- Blätter mit Wasser übergießen
- Ein Bottich wird zu zwei Dritteln mit Waidblättern befüllt, die angewelkt aber noch nicht komplett vertrocknet sind. Man zieht den Farbstoff durch Aufguss mit kaltem Wasser (12°C bis 15°C) aus. Das Wenden der Blätter ist nicht vorteilhaft, es bringt nur braune Verfärbungen.
- Probe
- Nach 8 bis 12 Stunden hat das Wasser die farbgebenden Stoffe ausgezogen. Man erkennt dies in der Probe, indem man etwas von der Flüssigkeit mit Kalkwasser schüttelt. Es soll sich ein grünlichblauer Niederschlag ergeben. Ist der Niederschlag schieferblau, so muss der Auszug noch einige Stunden stehen.
- Kalkwasser beimischen
- Den jetzt grünen Auszug gießt man ab und vermischt ihn zu gleichen Teilen mit reinem Kalkwasser.
- Luft untermischen
- Die Mischung muss nun durch Schlagen oder Einpumpen von Luft über eine Stunde oxidiert werden. Falls dabei zu viel blauer Schaum überquillt, kann man ihn mit einigen Tropfen Öl bändigen. Die Flüssigkeit wird blaugrün und Flocken des blauen Farbstoffs werden ausgefällt.
- Setzen lassen
- in 6 bis 8 Stunden lässt man den Trub zu Boden sinken und gießt dann die klare Flüssigkeit ab.
- Reinigen
- Mit frischem Wasser gießt man das Fass wieder auf und rührt den Bodensatz gut auf, lässt ihn sich abermals über viele Stunden absetzen. Der blaue Farbstoff wird so gereinigt. Das Aufgusswasser wird gelb, und man wiederholt das, bis es klar bleibt.
- Neutralisation mit Essig
- Im letzten Spülgang wird Essig zugesetzt, der den im Farbstoff verbliebenen Kalk auflöst.
- letze Spülung
- Schließlich wird auch der mit der Säure des Essigs angereicherte Bodensatz noch einmal mit klarem Wasser ausgespült.
- Trocknen zu Pulver
- Man sammelt den Bodensatz in leinenen Tüchern oder Spitzbeuteln und lässt ihn 10 bis 12 Tage an einem luftigen Ort im Schatten trocknen.
Indigopulver aus Waidblättern durch Infusion
100 kg Waidblätter ergeben in kühlen Sommern 188 g, und in heißen Sommern 624 g Indigo. Man erhält also pro Quadratmeter Anbaufläche zwischen 7 g und 18 g reines Farbpulver.
- Aufguss
- auf 10 kg frische Blätter gießt man 30 bis 35 l kochendes Wasser.
- ziehen lassen
- man lässt es nicht länger als 2 bis 3 Stunden ziehen. Dann wird der "Tee" durch ein Sieb abgegossen.
- Kalkwasser zusetzen
- 10-12 l Kalkwasser werden dem "Tee" beigemengt.
- Reinigen
- Der Indigo flockt aus und sinkt zu Boden. Oftmaliges Ausspülen genau wie oben befreit den Farbstoff von Unreinheiten.
Verfahren in Ostindien
- Erntezeitpunkt
- sobald die Pflanze in Blüte steht und bereits einige Früchte angesetzt hat, werden die Blätter trocken und beginnen zu rascheln. Dann wird er geschnitten. Vor Sonnenaufgang, da das Sonnenlicht schädlich ist für die blaue Farbe.
- Fermentation
- Die Ernte wird im Schatten getrocknet oder in Haufen geschichtet der Fermentation unterzogen.
- Pulverisieren
- Man löst die Blätter von den Stängeln durch Schlagen mit Stöcken. Die Blätter werden durch Stoßen, Treten und Reiben zu Pulver zerkleinert.
- Lagerung bzw Handel
- So getrocknet, sind die Blätter lagerfähig. Doch der reine Farbstoff wurde noch nicht extrahiert.
- mit Kalkwasser aufgießen
- Will man daraus den Farbstoff gewinnen, so gießt man das Blattpulver in einem großen Tongefäß 1:1 mit Wasser auf. Nach einer halben Stunde ergänzt man einen halben Anteil Kalkwasser. Nun wird jede halbe Stunde für etwa 10 Minuten umgerührt. Die Umgebungstemperatur sollte warm sein, um die Gärung zu unterstützen.
- Probe
- nach 5 bis 6 Stunden sollte die Fermentation abgeschlossen sein. Die Gärung ist perfekt, wenn eine Eierschale stets abwechselnd niedersinkt und aufsteigt. Eine zu starke Gärung löst auch unnütze Farbstoffe und wird bräunlich. Man gießt die Flüssigkeit nun durch ein Sieb ab.
- zweiter Auszug
- Der Rückstand wird mit ebensoviel Wasser wie beim ersten Mal erneut aufgegossen und ohne Gärung durch ein Sieb abgegossen. Das Pulver ist nun vollständig ausgelaugt und kann als Dünger verwendet werden.
- Sauerstoff einbringen
- Die aufgefangenen Flüssigkeiten sind dunkelgrün mit einem violetten Rahm und Luftblasen. Sie werden in großen Becken gesammelt. Man steigt dort hinein und schäumt das blaue Wasser mit Rutenbündeln kräftig zu Schaum auf. Das geht über Stunden. Zur Probe wird immer wieder etwas Wasser in einer kleinen Schale entnommen, und man wartet den Zeitpunkt ab, wo sich rasch ein Bodensatz absetzt.
- Ruhen lassen
- Nun lässt man den Indigo im großen Becken absinken. Das klare Wasser kann über einen Abfluss abgelassen werden. Der Bodensatz wird auf einem Bett aus Asche oder Sand in der Sonne getrocknet.
in Westindien
Aus 100 kg Pflanzenmaterial gewinnt man etwa 360 g reines Indigopulver. Die häufig wiederholte Aussage, tropischer Indigo liefere dreißigmal mehr Farbstoff als Waid, lässt sich durch historische Ertragsdaten nicht bestätigen. Der Unterschied war zwar vorhanden, fiel aber deutlich moderater aus und hing stark von Klima und Verarbeitung ab.
- drei Wasserbecken
- Man errichtet drei aus Backstein gemauerte Becken so an einem Hang, dass der Inhalt eines Beckens in das nächste abgelassen werden kann. Das erste Gefäß dient der Gärung, das nächste dem aufschäumen mit Luft, und das letzte ist zum Niedersetzen der Farbflocken.
- Einweichen der Blattmasse
- Das erste Becken wird zu zwei Dritteln mit Flusswasser gefüllt. Dann werden die Bündel der Indigo-Blätter darin versenkt und mit Steinen beschwert.
- Gärung
- Es entsteht eine natürliche Fermentation mit deutlicher Luftentwicklung. An heißen Tagen bildet sich schon nach 9 Stunden, bei Kälte erst nach 20 Stunden, eine grünliche Trübung und ein kupferner Rahm (Indigoblume)
- Oxidation
- Die Flüssigkeit wird in das zweite Becken abgelassen; die Feststoffe hält man durch einen Filter zurück. Durch Rühren und Schlagen wird Sauerstoff eingebracht, bis sich Flocken abscheiden
- Setzen lassen
- Unreinheiten setzen sich sofort ab, der Indigo-Farbstoff etwas langsamer. Daher wartet man nach dem Luftschlagen kurz ab, bis sich das Wasser beruhigt, und lässt die Flüssigkeit dann in das dritte Becken ablaufen. Dort dauert es seine Zeit, bis der gesamte Bodensatz niedersinkt. Das klare Wasser wird dann abgelassen. Der schlammige Bodensatz trocknet im Schatten.
- Spülen
- reinere Qualitäten werden vor dem Trocknen mehrmals gespült, wobei sich gelbliche Fraktionen des Farbstoffs ausscheiden. Das Endprodukt wird also blauer.
- in Quader portionieren
- Wenn die Masse fast trocken ist, wird sie in Form länglicher Quader geschnitten - wie Seifenstücke. In dieser Form kam der Indigo über viele Jahrhunderte in den Handel.
- Schimmel abwischen
- Beim Durchtrocknen setzt Schimmel an, den reibt man ab. Auch der Befall mit Fliegenmaden ist offenbar völlig normal
Mythen und Fakten
... und fast hätte ich einen jahrhundertealten Indigo-Mythos einfach abgeschrieben. Warum man Wikipedia manchmal nicht trauen sollte, erzähle ich im Newsletter.
- Johann Carl Leuchs: Vollstandige Farben- und Färbekunde, oder, Beschreibung und Anleitung zur Bereitung und zum Gebrauche aller färbenden und farbigen Körper. 1825 ↗
- Helmut Schweppe: Handbuch der Naturfarbstoffe, 1993