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Die Karde: Wie sie Wolltuchen von der Antike bis ins 19. Jahrhundert einen weichen Flor verleiht

Vom Webstuhl zum Flaum: Wie Wollstoffe ihren weichen Griff erhielten

Abbildung aus der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung

Foto: Mendelsche Zwölfbrüderstiftung - Lizenz: public domain

Die Technik des Weichmachens von Wollstoffen reicht bis in die Antike zurück und wurde in mittelalterlichen Textilzentren Europas verfeinert. Die Wolltuche durchliefen einen abschließenden Veredelungsprozess, um sie angenehm anschmiegsam zu machen. Denn direkt nach dem Weben fühlt sich der Stoff noch recht rau an, die einzelnen Fasern der Wolle sind dicht in die Fäden eingeschlossen. Beim anschließenden Walken verdichtet sich die Oberfläche des Stoffes. Die Wolle läuft ein, und das Tuch wird in den Abmessungen kleiner, dafür aber dicker und dichter. Erst jetzt kommen die Karden ins Spiel: Abbildungen aus Manuskripten zeigen, wie Kardenköpfe in Holzrahmen eingespannt und von Hand über den Stoff gezogen wurden.

Erste Verwirrung: Kardieren von Rohwolle ist etwas völlig anderes

Der Ausdruck „Kardieren“ wird heute in zwei völlig unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, was häufig zu Irritationen führt. Besonders verwirrend ist es, dass dieser Begriff auch für die Aufbereitung von Rohwolle zum Spinnen genutzt wird. Dabei werden die Fasern mit speziellen Bürsten oder Kardiermaschinen entwirrt und ausgerichtet. Diese Verwendung stammt aus dem 18. Jahrhundert, als mechanische Kardiermaschinen entwickelt wurden. Diese Maschinen, ausgestattet mit Metallzinken, imitierten die Funktion der stacheligen Blütenstände der Kulturpflanze Karde. Trotz dieser Namensherkunft besteht jedoch keine direkte Verbindung zwischen der Pflanze und der Verarbeitung von Rohwolle.

Zweite Verwirrung: Die falsche Art trägt einen irreführenden Namen

Es gibt zwei Arten der Gattung Karde, die häufig vorkommende Wilde Karde (Dipsacus fullonum) und die Weberkarde (Dipsacus sativus) die in freier Natur kaum zu finden ist, aber noch vereinzelt kultiviert wird. Der wissenschaftliche Name fullonum bei der Wilden Karde ist irreführend, da er sich auf die Tuchwalker (fullones) bezieht. So entsteht oft der Eindruck, dass die Wilde Karde in der Textilverarbeitung genutzt wurde, was jedoch nicht korrekt ist. Die Benennung wurde bereits 1753 von Carl von Linné vergeben, dem Begründer der binären Nomenklatur. Sein System hat die wissenschaftliche Benennung biologischer Arten weltweit geprägt. Obwohl der Name aus heutiger Sicht irreführend ist, bleibt er als Tribut an die Bedeutung von Linnés Werk unverändert. Jene Karde, die man textiltechnisch nutzen konnte, wurde erst 1780 von Gerhard August Honckeny als eigene Art erkannt. Da war der passende Name bereits vergeben, und er nannte sie Dipsacus sativus, zu deutsch etwa „die kultivierte Karde“. Zumindest im Deutschen bezieht sich der Begriff Weberkarde auf die korrekte Art.

die richtige Art erkennen

Die Weberkarde (Dipsacus sativus) hat nach hinten gekrümmte Stacheln und eine robuste Struktur. (Der Biologe spricht von Spreublättern, die Bezeichnung „Stacheln“ ist nicht korrekt). Die Farbe der Blüte ist weiß.

Bei der Wilden Karde (Dipsacus fullonum) sind die Stacheln weicher und gerade. Sie blüht lila oder weiß.

Hinweis für den Anbau

Wenn du Karden im eigenen Garten anpflanzt, achte darauf, dass keine Wilde Karde in der Nähe wächst. Die beiden Arten können sich kreuzen (Artbastardisierung), was zu Mischformen mit unbrauchbaren Eigenschaften führt. Die Pflanze ist zweijährig: im ersten Jahr bildet sie nur eine Blattrosette aus, im zweiten Jahr wächst sie in die Höhe und bildet Blüten und Fruchtstände aus. Im gewerbsmäßigen Anbau hat man sie daher im ersten Frühjahr relativ dicht in Reihen gesät, um Platz zu sparen. Im zweiten Frühjahr vereinzelt man die Pflanzen, wo sie bis zum Juni/Juli zur Blüte reifen.

Ernte und Vorbereitung der Kardenköpfe

Im Sommer blüht die Karde ab. Wenn sie voll ausgereift sind, werden die Kardenköpfe mit etwa 15 cm Stängel abgeschnitten. Hänge die Kardenköpfe an einem trockenen, gut belüfteten Ort auf, bis sie vollständig getrocknet sind. Im Winter wurden die Hüllblätter der durchgetrockneten Kardenköpfe abgeschnitten und für den Verbau in die Holzrahmen vorsortiert.

Befestigung

Baue einen einfachen Holzrahmen, der die Kardenköpfe stabil hält. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie die Kardenköpfe eingesetzt werden: fest und unbeweglich zwischen Hölzer montiert oder längs durchbohrt und frei drehbar. Man unterscheidet bei den Handraugeräten Kardenrauer für feinere Tuche mit kleinen Kardenköpfen und solche für die Strumpfwirker und Mützen- oder Hutmacher mit den größeren Kardenköpfen.

Anleitung zur Verwendung

Vor dem Rauen werden die Stoffe in Wasser gelegt oder kommen noch nass aus der Walkmühle. So wird erreicht, dass die Wolle weicher ist und einzelne Fasern beim Rauen nicht zerrissen werden. Bei der Behandlung mit den Karden werden aus den Wollstoffen Fäserchen herausgezogen und bilden an der Oberfläche einen Flaum. Das kann nur auf einer Seite der Stoffe durchgeführt werden, oder beidseitig. Der Stoff wird dadurch voluminöser, weicher und wärmer. Ziehe die Karde mit leichtem Druck über den Stoff. Achte darauf, gleichmäßig zu arbeiten, um eine saubere Aufrauhung zu erzielen. Das Rauen erfolgt in mehreren Arbeitsgängen. Dabei werden zuerst die älteren, bereits benutzten sogenannte "toten" Kardenköpfe verwendet, dann welche, die weniger in Gebrauch waren. Erst beim letztmaligen Rauen nimmt man neue, sogenannte "lebendige" Karden.

Nachbehandlung

Nachträglich kann der Faserflor noch in eine Richtung gebürstet werden, oder der Flaum wird wirr belassen (Velours).

Verwendung in der Industrie

Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Tuchproduktion mehr und mehr mechanisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Handgeräte von Raumaschinen verdrängt. Bei den ersten waren die Walzen bestückt mit Kardenköpfen, die mit ihren Stielen nebeneinander in Rahmen fixiert waren. Nach und nach kamen modernere Maschinen mit rotierenden Kardenköpfen zum Einsatz. Dazu wurden vor dem Durchbohren der Längsachse nicht nur die Stiele komplett entfernt, sondern die beiden Enden wurden abgeschnitten, um eine zylindrische Form zu erzielen. So wurden sie der Länge nach hintereinander auf Spieße aufgereiht und auf der Trommel der Maschine befestigt.