Artikel erstellt: 21.07.2025, zuletzt geändert am 25.09.2025, Aufrufe: 197

Kalk brennen: Vom Stein zum Branntkalk

Das Geheimnis mittelalterlichen Mörtels

Ein Geheimnis der Festigkeit mittelalterlichen Mörtels liegt darin, dass der Kalk unmittelbar auf der Baustelle gebrannt wurde. Der frische Brandkalk (ungelöschter Kalk, CaO) ist extrem hygroskopisch (wasseranziehend) und reagiert mit Kohlenstoffdioxid aus der Luft. Wenn er über längere Zeit transportiert oder gelagert wird, nimmt er Feuchtigkeit auf und beginnt zu löschen (Hydratation) und zu karbonatisieren (Reaktion mit CO2). Dies mindert seine Qualität und Reaktivität für die spätere Mörtelherstellung. Je frischer und reaktionsfähiger der Brandkalk ist, desto besser und vollständiger kann er gelöscht werden. Dies führt zu einem hochwertigeren Kalkteig, der einen besseren Mörtel ergibt. Außerdem ist der Transport von Kalkstein (dem Rohmaterial) einfacher als der Transport von gebranntem Kalk.

der Kalkbrand im großen Stil

Das Brennen von Kalkstein ist ein Prozess, der kontrollierte hohe Temperaturen über lange Zeiträume erfordert, wie sie nur in dafür konstruierten Schachtöfen erreicht werden können. Der Kalkstein zersetzt sich darin zu Branntkalk und Kohlendioxid. Die Steine bleiben dabei formstabil, werden aber um die Hälfte leichter.
Dieser Prozess wird als Kalzinierung oder Entsäuerung bezeichnet. Die benötigte Temperatur liegt je nach Reinheit des Kalksteins und der Brenndauer zwischen 900 °C und 1200 °C.
In einem Dokumentarfilm von 1979 aus dem Dorf Gransdorf in der Eifel wird Kalk auf diese Weise gebrannt:
Aufbau des Ofens
Ein zylindrisches Erdloch wird mit Ziegelsteinen oder Feldsteinen und Lehm stabil ausgemauert, und so in eine Hanglage hineingebaut, dass sowohl die Ofenkrone als auch das einige Meter tiefer liegende Mundloch ebenerdig zugänglich sind. Die Krone ist in großen Sandsteinquadern ausgemauert. Der Ofen von Gransdorf ist 4 m tief, hat einen Durchmesser von 2,5m und fasst 22,5 Tonnen Kalkstein. Dieser Ofen ist nicht freistehend, sondern in einen hölzernen Schutzbau integriert. In die Bodenplatte des Ofens ist ein Aschengraben eingetieft, der während der Befüllung zunächst mit einem Blech abgedeckt ist.
Als Brennmaterial liegen 30 bis 40 Raummeter Holz bereit. Meist ist es kernfaules Fichtenholz, das anderweitig nicht verwendet werden kann. Früher nutzte man gebundenen Reisig von Fichten und Kiefern: allein zum Anfeuern brauchte man 1000 bis 1500 Reisigbündel; und 4000 bis 6000 für den gesamten Brand.
erste Befüllung
Eine Wagenladung Kalksteine wurde vom Steinbruch geliefert. Besonders sorgfältig werden solche Brocken ausgewählt, die sich als Schlussteine für das spätere Gewölbe eignen. Allzu große Steinstücke werden mit Hammerschlägen so gespalten, dass man noch gut mit ihnen hantieren kann. Wären sie zu groß, würden sie nicht vollständig durchbrennen. Dabei entstehen auch immer kleine, etwa faustgroße Abschläge, die sogenannten Spatzen: Diese werden zum Unterfüttern einzelner Gewölbesteine und für die Abschlussplatte auf dem fertig befüllten Ofen zurückbehalten.
Anlegen der Zugkanäle
Die Größe des Ofens hat den Vorteil, dass zwei Personen genug Platz haben, im Inneren aus dem Rohstoff Kalkstein in Trockenbauweise Mauern zu setzen. Sobald genügend Baumaterial von oben hineingeworfen wurde, steigen die Kalkbrenner hinab und legen den Boden aus. In der Mitte des Ofens wird eine ovale Brennkammer ausgespart. Davon sternförmig ausgehend legt man zehn bis 12 Zugkanäle an, die vor der gemauerten Ofenwand enden.
So wird Lage um Lage höher gemauert: Man sucht sich ebene Steinflächen, arbeitet hier und da mit dem Hammer nach, und legt alle Steine so ab, dass sie stabil ruhen und nicht wackeln.
Die Luft zieht durch das Mundloch durch einen Rost aus alten eisernen Wagenachsen in das mit Feuerholz befüllte Gewölbe. Der obere Teil des Mundlochs dient dem Einfüllen des Brennholzes, der untere Teil bleibt frei für den Einzug von Luft.
Gewölbe setzen
Wenn die Trockenmauern an beiden Seiten der Brennkammer genug Höhe haben, dann werden aus 5 geeigneten Steinquadern ‑ganz ohne eine Lehre‑ Bögen gesetzt. Ein Gehilfe hält dazu die Steine in Position, bis der Schlusstein sitzt.
Gewölbebau im Inneren eines Kalkbrennofens
Abbildung: im Inneren des Kalkbrennofens. Der erste Bogen des Gewölbes ist gesetzt.
Sechs bis acht solcher Bögen aneinandergelegt, ergeben ein haltbares Tonnengewölbe. Wenn ein Bogen instabil ist oder einstürzt, tauscht man die Steine aus und setzt sie erneut. Für jeden einzelnen Bogen gilt, dass man wackelige Steine sofort unterfüttert und verkeilt, sobald der Bogen hält. Und das Widerlager des Bogens wird mit Kalkquadern auffüllt. Die Oberseite der Bögen erhält eine ebene Oberfläche, wie sie als Schauseite beim Trockenmauern entsteht. Die untere, der Brennkammer zugewandte Seite bleibt spitzig.
Fertigstellen des Gewölbes
Wenn es eng wird für die Hände des Gehilfen, werden Holzstäbe als provisorische Stütze eingeklemmt, um die Bogensteine abzustützen, bis der Schlusstein sitzt.
Das Schlussloch des Gewölbes kann nur von oben als Kuppel zugesetzt werden. Die Brennkammer ist nun 1,20 hoch und 1,80 tief.
Auffüllen

Beim Auffüllen des Ofenvolumens sollen die größeren Steine in der Mitte zum liegen kommen, wo die Hitze am intensivsten ist, die kleineren an die Wandung. Dabei kommen nur die großen und mittleren Steingrößen zur Verwendung. Kleine Splitter werden aussortiert und erst zum Abdecken der Füllung verwendet. Geschicktes Füllen bringt mehr Kalksteine unter, also werden nach Möglichkeit keine Hohlräume gelassen.
letzte Phase des Einschichtens
einen Meter vor Erreichen der Krone beginnt man, flachere Quader an der Wandung hochkant aufzustellen, so dass ein Spalt zur gemauerten Wandung von etwa 10 cm entsteht: So kann die Hitze durchziehen und die Steine nicht mit der Wand verbacken. Dann werden die beiseitegelegten "Spatzen" genutzt. Sie werden sorgfältig und eng gesetzt, und beachten immer den Spalt zur Wandung. Nach 2 Tagen ist alles befüllt. Die Schicht schließt auf Höhe der Ofenkrone ab.
Anzünden
Mit Stroh und Holzlatten wird das Feuer entzündet. Zu Beginn wird nur wenig Holz nachgelegt, das Feuer soll klein bleiben. Denn erst muss die Feuchtigkeit aus dem Kalkstein entweichen. Bei zu starker Anfangshitze platzen die Steine. An der Farbe des Rauches erkennt der Meister nach einigen Stunden, ob die Feuchtigkeit in den Steinen völlig verdampft ist. Zur Probe entnimmt er einen Stein aus der obersten Abdeckung und schaut ob er "schwitzt".
Abdecken des Ofens
Sobald die Decksteine nicht meehr schwitzen, beginnt die Abdeckung der obersten Steinschicht mit einem Lehm-Wasser-Gemisch. Man setzt die Mischung am Vortag an, damit der Lehm gut durchzieht. Eine Lage Stroh dichtet die Ritzen zwischen den Steinen, der Lehm wird etwa 2 cm dick auf das Stroh aufgestrichen. Sorgfältig glättet man den äußeren Rand mit der Spalte zur Ofenwandung hin. So wie man bei einer Tarte den Boden mit einer Gabel einsticht, damit der Dampf entweichen kann, lässt der Kalkbrenner im Lehmdeckel gezielt Löcher frei, durch die heiße Gase austreten können. Damit nicht zu viel Durchlüftung erzeugt wird, deckt man sie bei Bedarf mit Sandsteinplatten ab.
Hitzestrom steuern
Die Abdeckung ist noch nicht vollständig, da beginnt der Gehilfe bereits die offene Spalte mit Ziegelsteinen abzudecken. So verlagert sich der Hitzestrom in den Teil des Ofens, in dem die Steine noch nicht ganz ausgetrocknet sind. Die Probe, ob die Steine noch schwitzen, wird Stück für Stück immer wieder vorgenommen. Am verkohlten Stroh (schwarzer Rauch) erkennt man, wann man den Kranz aus Ziegelsteinen schließen kann.
Derweil wird unten ununterbrochen Brennholz nachgelegt. Das Nachlegen geht nun Tag und Nacht. Flammen schlagen aus der Krone, optimal gleichmäßig auf allen Seiten. Asche sammelt sich unten im Mundloch und muss immer wieder mit einer langen Stange ausgeräumt werden.
Wann ist man fertig?
nach 50 Stunden ist der Kalk ausreichend gebrannt. Die Kalkbrenner erkennen den richtigen Zeitpunkt daran, dass sich an einigen Ziegelsteinen der Abdeckung eine Regenbogen-Glasur bildet, ein grünlicher Niederschlag. Um sicherzugehen ein letzter Test: Man stößt mit einer Stange durch die Zuglöcher: Ertönt ein klirrend heller Klang wie bei Holzkohle, ist der Kalk fertig.
Abkühlen
Die nach innen gesunkenen Ziegelsteine der Randabdeckung (wegen 10% Raumverlust) nimmt der Kalkbrenner mit der Zange weg, damit der Ofen schneller auskühlt. Das Abkühlen dauert eine Nacht. Zur Beschleunigung zieht man die Asche und die letzten glimmenden Holzreste heraus.
Ausleeren
Am nächsten Tag wird die Lehmdecke abgetragen, und die gebrannten Kalksteine in Säcke gefüllt. Da der gebrannte Kalk Stückgut ist und nicht fein vermahlen, ist der Umgang damit relativ unkritisch. Das Ausleeren des Ofens dauert noch einmal zwei Tage. Der Branntkalk musste nicht gelagert werden, denn er wurde stets rasch verkauft.

Kalkbrand im kleinen Stil

Das Kalkbrennen in kleinen, handwerklichen Maßstäben ist erstaunlich schlecht dokumentiert, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Der Eindruck, dass man keine Kleinmengen für den Eigenbedarf brennen kann, trügt jedoch: Es gibt durchaus einfachere Formen von Kalkbrennöfen, sogenannte Feldschachtöfen. Sie sind nicht für den Dauerbetrieb, sondern nur für den einmaligen Betrieb ausgelegt.
Ein einfacher Schachtofen für Branntkalk lässt sich bereits mit einem Volumen von 50 bis 100 Litern umsetzen. Das wären etwa 30 bis 40cm Innenmaß bei 60-100 cm Höhe. Noch kleinere Anordnungen lassen sich thermisch schwer steuern.
Die Herausforderung, eine Temperatur über 900 Grad Celsius für 6 bis 12 Stunden zu halten, wird durch eine Kombination aus Materialauswahl, Konstruktion und Brennstoffmanagement bewältigt.
Aufbau
Feldmeiler werden oft direkt in Hänge gebaut, und aus lokal verfügbaren Steinen und Lehm errichtet. Die Form ist in der Regel zylindrisch oder leicht konisch. Ein relativ enger Brennraum reduziert den Wärmeverlust und trägt dazu bei, die Hitze auf die Kalksteine zu konzentrieren.
Isolierung
Das umgebende Erdreich dient als natürliche Isolierung.
Material
auf 50 kg Gestein kommen 75 kg Holzkohle (etwa das 1,5-fache). Als Brennmaterial wird auch trockenes Holz, Reisig oder Torf verwendet.
Befüllung in Schichtenbauweise
wechselweise werden Schichten aus Kalkstein und Brennmaterial in den Ofen geschichtet (Mischbrand). Dies sorgt für eine gleichmäßige Wärmeverteilung und ermöglicht eine kontinuierliche Zufuhr von Brennstoff zu den Brennzonen.
Anzünden
Der Brand wird am Boden des Ofens entzündet und frisst sich dann langsam von unten nach oben durch die Schichten.
Kontrollierte Luftzufuhr
Dies ist der wichtigste Faktor für die Temperaturkontrolle: Die Feldmeiler haben Öffnungen am Boden (Schürloch) und oben. Durch Anpassen der Öffnungen mit Steinen oder Lehm kann der Kalkbrenner die Sauerstoffzufuhr und damit die Intensität der Verbrennung regulieren. Eine zu große Luftzufuhr führt zu einem schnellen, aber kurzlebigen Brand, während eine zu geringe Zufuhr die Temperatur nicht hoch genug hält. Es erfordert Erfahrung, den richtigen Zug einzustellen, um eine langsame, aber gleichmäßige Verbrennung zu gewährleisten, die die gewünschte Temperatur über Stunden hält.
Beobachtung
Die erfolgreiche Durchführung eines Brandes in einem Feldmeiler ist stark von der Erfahrung des Kalkbrenners abhängig. Er muss den Brandverlauf anhand von Rauchentwicklung, Flammenfarbe und Geruch beurteilen können.
Brennzeit
6-12 Stunden
Nachglühzeit
mindestens 12 Stunden, idealerweise 24 Stunden abkühlen lassen

Brennfehler: zu wenig Hitze

Hat man das oft genug gemacht, erkennt man schon von außen an der Farbe, ob ein Kalkstein nicht richtig durchgebrannt ist. Man merkt es auch deutlich am Gewicht. "Kälber" oder "Hunde" sind Steine, die nur teilweise oder nicht richtig durchgebrannt sind.

Brennfehler: zu viel Hitze

Wird unreiner Kalkstein zu stark erhitzt, bezeichnet man ihn als totgebrannt. Reiner Kalk kann nicht totgebrannt werden, doch wenn im Ausgangsmaterial Ton enthalten ist (Kalkmergel), kann es bei hohen Temperaturen zu Sintereffekten kommen: Die Tonteilchen schmelzen ab etwa 1500°C, und umschließen die Calciumoxidkörner. Dadurch ist zu heiß gebrannter Kalkmergel nicht fähig mit Wasser zu reagieren. Er ist als Baumaterial oder Dünger ungeeignet.

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Quellen: