Foto: The Met - Lizenz: open access
Edelsteinschleiferei im Mittelalter
Ausgrabung einer Werkstatt
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Die zeitgleich überlieferten schriftlichen Arbeitsanweisungen in der Schedula Diversarum Artium von Theophilus Presbyter geben Aufschluss über die damaligen Verfahren.
Aussehen der Werkstatt
Die Gesamtausdehnung der Werkstatt lag vermutlich in
einer Größenordnung von mehr als 10 x 5 m Grundfläche. Im Inneren war eine 1,6 m tiefe Grube von etwa 3 x 4 m ausgehoben.
Entweder auf einem Holzboden über der Grube, oder auf Werkbänken
an deren Rand waren die Arbeitsplätze der Schleifer.
Das beim Schleifen verwendete Wasser lief in die Grube und sammelte dort
den Schleifschlamm.
Ohne Auffanggrube hätte der Werkstattboden schnell mit Schlamm bedeckt
werden können.
Die farblich unterschiedlichen Sedimente in bestimmten
Bereichen der Grube zeigen die getrennten Arbeitsplätze unterschiedlicher
Arbeitsgänge auf: Zum Ebauchieren, Feinschleifen und Polieren
wurden verschiedene Schleifsteine genutzt.
Vermutlich wurde auch der Arbeitsgang des Zuschlagens direkt an den
Werkbänken bei oder über der Grube ausgeführt: Die scharfen, kleinen
Bergkristallsplitter, die beim Zuschlagen sicher stark
streuten, konnten zum Schutz von Schuhen und Füßen nicht auf dem
Werkstattfußboden verbleiben, und wurden daher in die Grube gefegt.
Das Rohmaterial
Bei der Grabung wurden 3,3 kg Rohmaterial des Edelsteins gefunden.
Wenn man bedenkt, dass dies nur jene Stücke sind, die unglücklich im
Grubenschlamm oder der Latrine verlorengingen, oder in der Zeit der
Auflassung der Werkstatt verschüttet wurden, dann kann man von einem
Vielfachen der Menge ausgehen, die zur Betriebszeit der Werkstatt
vorhanden war.
Im Mittelalter wurden Bergkristallobjekte aufgrund ihres klaren,
glasähnlichen Aussehens und ihrer Seltenheit hoch geschätzt.
Diese wurden häufig für sakrale und repräsentative Zwecke verwendet
und waren in Kirchenschätzen, Schatzkammern und bei höfischen
Sammlungen zu finden.
Die mineralogische Untersuchung der Kölner Funde erwies als Fundort
der Kristalle die Alpen, besonders das Gotthardmassiv
und Gebiete in der Nähe von Innsbruck. Weitere bedeutende Lagerstätten
für hochwertige Kristalle hatten
die Pyrenäen in Frankreich und Spanien; Monte Cervino und das
Aosta-Tal in Italien; per Fernhandel kamen besonders erlesene Stücke auch
aus griechischen Regionen, Indien und Sri Lanka.
Neben den Bergkristallen wurden auch vereinzelt andere Edelsteine
verarbeitet, darunter durchscheinende Achate und gefleckter Jaspis.
erster Arbeitsschritt: Grobzurichtung mit direkten Abschlägen
Die erste Formgebung der Bergkristalle erfolgte in einer Schlagtechnik, die der steinzeitlichen Feuersteinbearbeitung nahe steht. (Bergkristall und Feuerstein sind sich in ihrem glasartigen Bruchverhalten ähnlich. Tatsächlich war Bergkristall bereits in der Steinzeit ein begehrtes Rohmaterial.) Durch die gezielte Abnahme von Abschlägen im Größenbereich von höchstens 2 bis 5 cm, meistens aber unter 1 cm, wurde das Werkstück in eine Rohform gebracht. Heutige Edelsteinschleifer sprechen vom "Formatieren". Die damaligen Werkzeuge entsprechen weitgehend den Werkzeugen, die in der Neuzeit für die Kristallverarbeitung eingesetzt werden: Eisenhämmerchen in verschiedenen Größen, die in Längsrichtung schwach gebogen sind. Beide Enden sind als schmale Querschneiden ausgeführt und gut gehärtet. Die Hammerschläge werden sehr gezielt direkt auf den Kristall ausgeführt. Die natürlichen Oberflächen der prismatischen Kristalle und die pyramidalen Endflächen wurden dabei konsequent abgetrennt, und der Rohling wird auf die ungefähre Größe der Endform gebracht.
zweiter Arbeitsschritt: Druckretusche
Bei einer Druckretusche wird ein Werkzeug auf den Schlagpunkt am Kristall aufgesetzt, und die Schlagkraft erfolgt mit dem Hammer auf das Endstück des Werkzeugs. Die Kraft wirkt also indirekt ein, und kann mit großer Präzision eingesetzt werden. Als Material des Retuschierwerkzeugs wurden schon in der Steinzeit Geweihspitzen und Knochen genutzt. Im Mittelalter sind Meißel aus Kupfer oder Eisen denkbar. Man hat nagelartige Metallstifte gefunden, die für diesen Zweck in Frage kommen. Durch die Retuschen wurde der Rohling so bearbeitet, dass er der gewünschten Endform des Schmucksteins näher kam.
Dritter Arbeitsschritt: letzte Formgebung im Grobschliff (Ebauchieren)
Die Retuschen des vorigen Arbeitsschrittes hinterließen auf der
Steinoberfläche die Muschelgrate der einzelnen Absplitterungen. Das
Ebauchieren trägt diese Arbeitsspuren ab, und verleiht dem Werkstück seine
gewünschte Form. Das Werkstück wurde unter Zugabe von Wasser
und eventuell noch Schleifzusätzen über einen groben, harten Schleifstein
gerieben. Rotierende Schleifsteine kennen weder Theophilus noch die
Kölner Werkstatt.
Die meistens recht kleinen Objekte mussten zum Schleifen mit einer
Handhabe versehen werden, um sie sicher auf den Schleifsteinen bear-
beiten zu können. Heute werden Edelsteine zum Schliff „aufgekittet“.
Dazu werden sie mit einer Klebmasse auf einem Stab befestigt. Im Befund
der Werkstattgrube fanden sich über 100 Knochen mit einer anhaftenden
schwarzen, pechartigen Masse. Ein Rezept für diese Kittmasse (Tenax) überliefert
Theophilus in einem anderen Zusammenhang, wo dieselbe Masse zum
Treiben von Metallblechen verwendet wird:
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Vierter Arbeitsschritt: Feinschliff
Sandsteine mit mittlerer und feiner Körnung dienen dem Feinschliff.
Das Ziel des Feinschlifft ist nicht mehr die Formgebung, sondern nur noch
die Oberflächenbearbeitung.
Dicke Sandsteinplatten von über einem Quadratmeter waren fest in der Werkstatt
installiert. Kleinere und noch feinkörnigere Sandsteine kamen in handlicher
Größe von 20 x 20 cm vor. Als Nutzungsspuren zeichnen sich
längliche Rillen von 3 bis 8 cm Breite ab, wie sie beim
Schleifen von leicht gewölbten Oberflächen (Cabochonschliff) kennzeichnend
sind. Oder es waren muldenförmige Eintiefungen, die für eine Zurichtung
von kugeligen oder walzenförmigen Objekten sprechen.
fünfter Arbeitsschritt: Polieren
Den Abschluss bildet eine intensive Oberflächenbearbeitung, mit der ein lichtspiegelnder Glanz erzeugt wurde. Dazu dienten Bleitafeln. Man hat feuchtes Ziegelmehl als Polierzusatz aufgestreut, und konnte damit den erwünschten Glanz der Schmucksteine erzielen. Neben dem von Theophilus beschriebenen Ziegelmehl sind aus jüngerer Zeit Zinnasche und Tripel als Polierzusätze bekannt.
sechster Arbeitsschritt: Endpolitur
Die Endpolitur erfolgte nach Theophilus auf Bockleder.
Durchlochen
Einige Schmucksteine sollten so bearbeitet werden, dass sie von allen Seiten sichtbar sind.
Dazu wurden sie längs mit einem dünnen Kanal durchbohrt und auf
einen Schaft fixiert.
Den Anfang einer solchen Bohrung bildete eine Narbe durch gezieltes Picken
mit Hämmern. In der kleinen Vertiefung wird ein metallener Nagel angesetzt,
der mit vorsichtigen Hammerschlägen die Durchlochung vorantreibt. Sobald man
den Mittelpunkt erreicht, arbeitet man in gleicher Weise von der anderen
Seite. Oft zerbrachen die Edelsteine kurz vor der Fertigstellung. War die
Durchlochung jedoch gelungen, musste der Kanal von innen geschliffen
werden: Ein Kupferdraht von etwa 30 cm Länge musste durch das Loch passen,
und mit Wasser und scharfkörnigem Sand als Schleifmittel erhielt die Bohrung
ihren Grobschliff. Für den Feinschliff wurde erneut Ziegelmehl verwendet,
während die Politur mit einem Bleidraht durchgeführt wurde.
- Jens Berthold: Edle Steine, edler Befund –Eine hochmittelalterliche Bergkristallwerkstatt in Köln. In: Archäologie und mittelalterliches Handwerk – Eine Standortbestimmung (Soester Beiträge zur Archäologie, Band 9), Hrsg: Walter Melzer