Artikel erstellt: 08.10.2025, zuletzt geändert am 08.10.2025, Aufrufe: 2

Mörtel, Beton und Putz – Geschichte und Geheimnisse

Ein Grundprinzip – warum Mörtel, Estrich, Beton und Putz eigentlich dasselbe sind

Seit jeher beruht die Herstellung von Mörteln im Wesentlichen auf drei Komponenten: Bindemittel, Zuschlag und Wasser. In kleinen Mengen kommen zudem Zusatzstoffe hinzu, die gezielt bestimmte Eigenschaften beeinflussen. Mengenverhältnisse, Korngrößen und Verarbeitungsweise bestimmen die endgültigen Eigenschaften des Mörtels und damit auch seinen Einsatzzweck: ob als Maurermörtel, Putz oder Estrich. Selbst Beton, der uns wie ein eigenständiger Baustoff erscheint, entwickelt sich letztlich direkt aus der Mörtelrezeptur.

Drei Zutaten in allen Epochen: Bindemittel, Zuschlag und Wasser

Das Bindemittel (Lehm, Gips, Kalk oder Zement, synthetische Polymere) wirkt als „Klebstoff“: Es härtet durch chemische Reaktionen mit Wasser aus und verbindet alle Komponenten fest zu einem künstlichen Stein. Die Zuschlagstoffe (Sand, Kies oder Splitt) dienen als Füllmaterial, das Volumen, Stabilität und Festigkeit liefert. Das Wasser ist dabei weit mehr als ein Lösungsmittel: Es nimmt aktiv an den chemischen Reaktionen teil und wird teilweise als Kristallwasser fest in die Struktur eingebaut.

Zusatzstoffe und ihre Wirkung – von Blut und Quark bis Superplastifizierer

Schon in kleinen Mengen können Zusatzstoffe (Additive) das Verhalten des Mörtels gezielt verändern. Wer die Wirkung der Grundkomponenten und Additive versteht, kann nachvollziehen, warum unterschiedliche Mörtelarten entstehen. Historisch finden sich dabei erstaunliche Rezepte: Eier, Ochsenblut oder Quark tauchen in mittelalterlichen Quellen auf und werden heute oft als Mythos belächelt. Dabei dreht die hochtechnisierte Betonindustrie immer noch an denselben Stellschrauben wie die Baumeister von einst: Die Eigenschaften eines Mörtels oder Betons lassen sich gezielt über vier Hauptbereiche steuern: Druckfestigkeit, Wasserbeständigkeit, Fließeigenschaften und Abbindegeschwindigkeit. Weitere Eigenschaften, etwa die Farbe des Mörtels, der Luftporengehalt oder Wärmedämmung, lassen sich ebenfalls gezielt beeinflussen.

Druckfestigkeit und Endhärte (die Struktur)

Die Druckfestigkeit bestimmt, wie stark ein Bauwerk belastet werden kann. Sie hängt vor allem vom Bindemittel und dessen Verhältnis zu Wasser ab. Kalk bildet CaCO₃-Kristalle, die nur geringe Belastungen tragen können. Portlandzement dagegen erzeugt durch die Ausbildung von Calciumsilikathydraten (C-S-H) ein dichtes, hartes Kristallgerüst und ermöglicht sehr hohe Festigkeiten. C-S-H-Phasen bilden ein dichtes Kristallgerüst, das den Beton druckbelastbar macht. Ein solches dichtes Kristallgerüst fand sich bereits in bestimmten antiken Mörteln. Entscheidend sind hier die Art des Bindemittels und das Wasser-Zement-Verhältnis (w/z-Wert): Eine geringere Porosität führt zu höherer Festigkeit.

Bindemechanismus und Wasserbeständigkeit (die chemische Reaktion)

Die Wasserbeständigkeit eines Mörtels hängt von der chemischen Bindung ab. Gipsmörtel löst sich schon nach kurzer Zeit in Wasser auf, ist daher nur bedingt für Außen oder feuchte Stellen geeignet. Kalkmörtel härtet nur an der Luft aus, beziehungsweise durch das Kohlendioxid, das mit der Zeit durch die Mauerschicht diffundiert. Er härtet sehr langsam aus, und längere Nässe, Frost und mechanische Belastung können ihn langsam abbauen. Deshalb hält er nicht über Jahrhunderte unter feuchten Bedingungen. Hydraulische Bindemittel wie Portlandzement oder der römische Mörtel (opus caementitum) enthalten mineralische Bestandteile, die auch unter Wasser reagieren. „Hydraulisch“ bedeutet, dass die Härtung nicht auf Luft angewiesen ist, sondern bereits beim Kontakt mit Wasser abläuft, wodurch das Material dauerhaft wasserunlöslich wird. Allen hydraulischen Mörteln ist gemeinsam, dass sie gesinterte mineralische Bestandteile enthalten: Bei Portlandzement wird dies industriell durch hohe Temperaturen erreicht, bei Pozzuolanerde durch natürliche vulkanische Hitze, und bei Ziegelmehl entsteht durch das starke Brennen der Ziegel ein ähnlicher Effekt.

Fließeigenschaften (Verarbeitbarkeit)

Bei klassischem Maurermörtel ist Fließfähigkeit nicht erwünscht: Der Mörtel soll pappen und nicht verlaufen, sodass die Fugen exakt gefüllt werden und die Bauteile stabil verbunden bleiben. In anderen Bereichen, etwa bei feinkörnigem Mörtel oder Beton, der ohne Hohlräume in Fugen oder Schalungen gelangen soll, muss die Mischung hingegen bestimmte Fließeigenschaften besitzen. Wasser ist die einfachste Möglichkeit, die Mischung flüssiger zu machen, senkt aber die Festigkeit, da es nach dem Abbinden Poren hinterlässt. Historisch kamen organische Zusätze wie Klebreisstärke oder Proteine zum Einsatz, die die Plastizität erhöhen und Wasser länger halten. In der modernen Technik sorgen Superplastifizierer (PCE, Polycarboxylatether) dafür, dass sich die Zementpartikel chemisch abstoßen und der Mörtel extrem flüssig wird, ohne zusätzliches Wasser. Die Fließfähigkeit wird damit gezielt über Fließmittel gesteuert.

Abbindegeschwindigkeit (die Bauzeit)

Die Abbindezeit bestimmt, wie schnell ein Mörtel die erste Tragfähigkeit erreicht. Der antike und mittelalterliche Kalkmörtel band so langsam ab, dass es keinen Bedarf für Verzögerer gab. Im Gegenteil, man hätte sich Beschleuniger gewünscht. Daneben wurde jedoch auch Gipsmörtel eingesetzt, etwa im Inneren von zweischaligem Mauerwerk oder für Stuck. Da Gips extrem schnell abbindet, konnten zuckerhaltige Zusätze wie Honig oder Obstsäfte hier als Verzögerer wirken und die Verarbeitungszeit verlängern. Schon geringe Mengen (Bruchteile von Prozenten) machen sich bemerkbar. Bei Portlandzement lässt sich die Geschwindigkeit auf verschiedene Weise beeinflussen: Fein gemahlener Zement reagiert schneller, grober langsamer. Ein geringer Zusatz von Gips zum Klinker verzögert gezielt den Erstarrungsbeginn. In der modernen Betontechnologie kommen außerdem Beschleuniger wie Calciumchlorid oder Verzögerer (Zuckerderivate, Weinsäure, spezielle Ligninsulfonate) zum Einsatz, die die Hydratationsreaktion steuern. Eine Beschleunigung ist besonders nützlich bei Kälte, wenn man im Winter betoniert: Verzögerer benötigt man dagegen in tropischen Temperaturen, damit der Beton nicht anzieht, bevor er vollständig und gleichmäßig eingebracht und verdichtet werden kann.

Die Evolution der Mörtel-Rezepturen – eine Reise durch 10.000 Jahre Baugeschichte

Mit diesem Grundwissen im Gepäck lässt sich die Geschichte des Mörtels nicht mehr als Abfolge kurioser Zutaten lesen, sondern als nachvollziehbare Entwicklung. Jede Epoche variiert das Grundprinzip – drei Zutaten plus Zusätze – je nach verfügbarem Material und technologischem Bedarf. Der Ursprung der Mörtelverwendung reicht bis in die Urgeschichte zurück. Man kann den Beginn nicht an einem einzelnen Datum festmachen, da die Entwicklung fließend war, aber die ältesten Funde gehen auf die Zeit vor 10.000 Jahren zurück.

Lehm

Lehm war das erste weit verbreitete Bindemittel der Menschheit. Seine Eigenschaften – Bindigkeit, Plastizität und Diffusionsoffenheit – machten ihn für Mörtel, Putz und Lehmböden gleichermaßen geeignet. Die Verarbeitung erfolgt ausschließlich im erdfeuchten Zustand, und die Festigkeit entsteht durch Verdichtung und Trocknung. Detaillierte Informationen zu Lehmmörteln, Lehmestrichen und historischen Rezepten finden sich im separaten Artikel [Lehmmörtel und Lehmestriche].

Gips – der schnelle Härter der Antike

Gips war eines der frühesten kalzinierten Bindemittel der Menschheit. Schon im 9. Jahrtausend v. Chr. nutzten die Bewohner von Jericho gebrannten Gips für Böden und Mörtel, lange bevor Kalk üblich wurde. Der bei nur 130 – 180 °C gebrannte Gipsstein ergibt ein feines Halbhydrat, das nach dem Anrühren mit Wasser rasch zu Gipskristallen erhärtet. Dieses schnelle Abbinden machte den Gipsmörtel zu einem idealen Werkstoff, wenn es auf zügiges Weiterbauen ankam. So blieb Gips über Jahrtausende ein bevorzugtes Bindemittel im Innenausbau, bei Estrichen und Stuckarbeiten, wenn auch empfindlich gegenüber Wasser.

Kalk – vom einfachen Luftkalk bis zum hydraulischen Mörtel

Mit der Entdeckung gebrannten Kalks begann ein neues Kapitel der Baustoffentwicklung. Kalkmörtel lässt sich leicht verarbeiten, verbindet Zuschläge zuverlässig und ergibt nach dem Abbinden einen dauerhaften, aber elastischen Steinverbund. In seiner klassischen Form besteht er aus einem Teil Kalkpaste, drei Teilen Sand und Wasser nach Bedarf. Der sogenannte Luftkalk (Calciumhydroxid) härtet durch Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft zu Kalkstein aus – ein langsamer Prozess, die sogenannte Karbonatisierung. Schon die Ägypter und Minoer nutzten diesen Mörtel für Putz und Mauerwerk, weil er weicher, diffusionsoffen und rissunempfindlich ist. Die Römer perfektionierten später die Herstellung, verwendeten aber je nach Anwendungszweck unterschiedliche Varianten: Luftkalk für Putze und einfache Mauerwerke, hydraulische Kalkmörtel oder Puzzolanmischungen für tragende und wasserführende Bauwerke.

Römischer Beton (Opus caementicium) – die Revolution der Baukunst

Mit dem römischen opus caementicium war erstmals ein Mörtel verfügbar, der auch ohne Luftzutritt, also unter Wasser und im massiven Mauerwerkskern, zuverlässig aushärtete. Diese hydraulische Eigenschaft verdankte sich der Zugabe von Puzzolanen – feingemahlenen, reaktiven Vulkanaschen oder Ziegelmehlen –, die mit dem gelöschten Kalk eine chemische Bindung eingingen. Damit ließen sich massive Gewölbe, Aquädukte, Hafenmolen und Kuppeln errichten – Bauwerke, die in dieser Form zuvor undenkbar waren. Das opus caementicium verband erstmals die Idee eines Gussmauerwerks mit der Beständigkeit eines Steins. Es war weniger ein „Mörtel“ im klassischen Sinn als vielmehr ein vollwertiger Kunststein – und der Vorläufer des modernen Betons.

Mittelalterliche Zusätze: Blut, Quark und Bier im Mörtel

Mit dem Ende des Römischen Reiches ging das Wissen um die Herstellung hydraulischer Mörtel weitgehend verloren. Die europäischen Baumeister griffen erneut auf den reinen Luftkalk zurück – ein Bindemittel, das langsam abbindet, empfindlich gegen Feuchtigkeit ist und in dicken Mauern Jahre zum Durchhärten benötigt. Dennoch blieb es der Standardmörtel des Mittelalters. Um seine Schwächen auszugleichen, begann eine Phase intensiver, oft lokaler Experimente. Handwerker mischten dem Kalkmörtel tierische oder pflanzliche Stoffe bei, um die Plastizität, Dauerhaftigkeit und Frostbeständigkeit zu verbessern. Diese Zusätze waren keine alchemistischen Spielereien, sondern handwerklich-empirische Optimierungen, die auf Erfahrung beruhten. Tierische Proteine (aus Quark, Milch oder Blut) reagierten mit dem Kalk zu stabilen Kalziumsalzen, was die Härte und Wasserbeständigkeit erhöhte. Fette und Öle wirkten hydrophob und schützten vor Durchfeuchtung. Zuckerhaltige Zusätze wie Melasse oder Wein verzögerten die Abbindezeit, während Eiweiß und Stärke den Mörtel geschmeidiger machten und das Einfrieren besser überstehen ließen. Diese organischen Rezepte zeigen, dass mittelalterliche Baumeister intuitiv an denselben „Stellschrauben“ arbeiteten, die moderne Baustofftechnik systematisch untersucht: Festigkeit, Bindemechanismus, Plastizität und Abbindezeit. Die Experimentierfreude war also ein rationaler Versuch, die Grenzen des Luftkalks auszudehnen – mit dem Ziel, einen möglichst vielseitigen und widerstandsfähigen Mörtel zu schaffen.

Portlandzement – das Fundament der Moderne

Ein Wendepunkt war die Erfindung des Portlandzements 1824. Dieser Zement entwickelte sich aufgrund seiner herausragenden Druckfestigkeit und seines überlegenen Bindemechanismus zum weltweiten Standard. Das moderne System mit Portlandzement vereinfachte Bauprozesse massiv, da Zusätze heute lediglich die Fließeigenschaften und die Geschwindigkeit des Abbindens feinjustieren müssen, anstatt grundlegende Materialmängel auszugleichen.

Hochleistungsbeton im 21. Jahrhundert: Chemie und Nanotechnologie

Das Bauen im 21. Jahrhundert wird durch die Entwicklung von Hochleistungsbeton revolutioniert, der durch den Einsatz moderner chemischer Zusatzmittel und Polymeren extrem anpassbare Eigenschaften erhält. Während Zementrezepte bereits optimiert sind, liegt das "Geheimnis der Hersteller" heute in diesen Betonzusatzmitteln. Chemisch hochreine Substanzen wie Superplastifizierer (Polymere zur drastischen Senkung des Wasserbedarfs für höhere Festigkeit), Luftporenbildner (Tenside zur Verbesserung der Frostbeständigkeit) und Abbindesteuerer ermöglichen die präzise Steuerung der Verarbeitbarkeit, Festigkeit und Aushärtegeschwindigkeit von Beton.